Großvater Fritz
Mein Großvater Fritz (links auf dem Foto unten; Postkartenansicht, um 1925) und drei Kommilitonen gründeten gegen 1925 'The Dani Henze's Cowboy Band'. In den Vereinigten Staaten war 1921 mit Otto Gray und seinen 'McGinty's Oklahoma Cowboys' die erste nationale US-amerikanische Band dieser Musikrichtung entstanden (vgl. Leslie A. McRill, Music in Oklahoma by the Billy McGinty Cowboy Band). Zweifellos war sie das Vorbild für meinen Großvater und seinen Freunden, die in Deutschland damals noch weitgehend unbekannte amerikanische Country- und Western-Musik zu spielen.
1926 folgte dann die Gründung der 'Dani Henze's American Jazz Band' (Foto unten, um 1927) und damit die Hinwendung zu einer in den Zwanziger Jahren in Deutschland bereits populäre Musikrichtung. Bereits in der vorausgegangenen 'Cowboy-Band' benutzten sie mit dem Saxophon und Schlagzeug für den Chicago Jazz wichtige Instrumente. Die Band existierte bis 1932/33 und löste sich schließlich auf. In den Roaring Twenties gewann der Jazz auch in Deutschland immer mehr Freunde. Er galt als eine moderne und progessive Musikrichtung, die ein neues Lebensgefühl verkörperte und den American Style of Life vermitteln sollte.
Auf dem Foto ist das Notenblatt
des deutschen Jazz-Stücks "Ich fahr' auf vierzehn Tag' nach Swinemünde"
zu sehen >anhören.
Es wurde durch das dänische Reinhard Wenskat-Orchester im Juni
1926 in Berlin aufgenommen und erschien
im gleichen Jahr als Schellackplatte der Deutschen Grammophon.
Nach 1933 galt der Jazz unter den Nationalsozialisten
als "entartet". Mein Großvater musste sich nach Studium und Ausbildung
wegen einer Erkrankung und aufgrund der politischen Situation,
wie mir meine Großmutter erklärte, beruflich neu orientieren.
Er lernte das Handwerk des Graveurs und war später als Graveurmeister
tätig, blieb aber Zeit seines Lebens der Musik verbunden. Ein
jüdischer Studienfreund und früheres Bandmitglied wurde von
den Nationalsozialisten verfolgt und später in einem Vernichtungslager
ermordet.
Zum Jazz in Deutschland vgl. Kater,
Michael H.: The Jazz Experience in Weimar Germany, in: German
History 6 (1988), S. 145-158; Kater, Michael H.: Gewagtes Spiel.
Jazz im Nationalsozialismus, Köln 1995.
Fritz
(links) und seine drei Studienfreunde als Mitglieder einer Verbindung
in einem Lokal in Münster, um 1925.
Bemerkenswert ist, dass sie Mitglieder einer Burschenschaft oder
eines Corps waren, aber gleichzeitig eine
Jazz-Band gegründet hatten. Der überwiegend konservative und politisch
rechtsgerichtete Geist
der Burschenschaften konnte sie anscheinend nicht vereinnahmen.
Meine Großmutter Johanne (*1912, +2009) war eine aus Mettmann im 'Bergischen' gebürtige 'Rheinländerin'. Bis ins hohe Alter blieb die resolute, manchmal auch unbequeme Dame mit dem sprichtwörtlichen rheinischen Humor gesegnet. Aus der 1932 geschlossenen Ehe entstammten meine Mutter Renate Sophia (*1935) sowie ihre beiden Schwestern Elvira (*1939) und Brunhilde (*1933).
Mein
Großvater trat nach 1933 weder in die NSDAP ein, noch freiwillig
einer ihrer Gliederungen bei. Unter beruflichen und persönlichen
Konsequenzen gelang es ihm, sich und seine Familie der Ideologie
des Nationalsozialismus fernzuhalten. Aufgrund von Krankheitsfolgen
und "kriegswichtigen" Tätigkeiten in der Rüstungswirtschaft blieb
er vom Wehrdienst verschont. Im Februar und März 1945 wurde das
Haus meines Großvaters bei zwei Luftangriffen völlig zerstört.
Dabei verlor er auch die meisten Aufzeichnungen, Dokumente und
Fotografien aus seiner Jugendzeit.
In der frühen Nachkriegszeit konnte mein Großvater die Versorgungslage
seiner 'ausgebombten' Famiie durch das Violinenspiel verbessern.
Als Musiker zog er durch das zerstörte und besetzte Land, um als
Honorar für seine Auftritte, unter anderem auf Veranstaltungen
der britischen Rhine Army, wertvolle Lebensmittel und Tauschobjekte
zu erhalten.
Mir gegenüber äußerte sich mein Großvater vor seinem Tod über
die Nationalsozialisten dahingehend, dass er sie für eine "Mörderbande",
"Kulturbanausen" und "Verbrecher" gehalten habe. Leider versäumte
ich es als Jugendlicher, meinen Großvater ausgiebig über sein
Leben und seine bewegte Jugend- und Studienzeit zu befragen.
Zeit seines Lebens blieb mein Großvater nicht nur der Musik verbunden,
sondern war ein an Naturwissenschaft, Technik und Geschichte interessierter
Mensch. Neben der Astronomie beschäftigte er sich mit Insekten
als Gartennützlinge, verstand sich im Sammeln und Bestimmen von
Pilzen, betrieb den Anbau von Nutzpflanzen und hielt sich im Garten
einige Hühner und Kanninchen. Eine kleine Fossiliensammlung, die
er nach dem Tod meines Großvaters väterlicherseits (1964), einem
Obersteiger im Ruhrbergbau, übernommen hatte, ergänzte er mit
eigenen Funden aus dem Sauerland und Ruhrtal. Einige dieser Fundstücke
befinden sich heute in meinem Besitz.